Gerd LAU: Sprachpolitische Maßnahmen gestern und heute in Österreich. In: Interkulturelle Bildung. Lernen kennt keine Grenzen. (Gauß, Harasek, Lau Hg.) Wien: Jugend und Volk Verlag, 1994.

1. Historische Beispiele zur Sprachpolitik und Nationswerdung

War nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie durch den vorerst gewählten Namen "Republik Deutschösterreich" die Affinität zu Deutschland betont worden, so wurde dies durch den Vertrag von St. Germain 1919 und das Anschlußverbot korrigiert. Als "Republik Österreich" ging dieser Staat 1938 zugrunde und hatte sieben Jahre später als gleichnamige, aber "2. Republik" 1945 einen Neubeginn, der von Anfang an auf dauerhafte staatliche Eigenständigkeit ausgerichtet war. Hierzu wurde der Nationsbegriff auf Österreich allein angewendet, was auch sprachpolitische Folgen hatte. In den ersten Jahren nach 1945 ging das (z.T. von den Alliierten geforderte) Abrücken von Deutschland so weit, daß "Deutsch" als Bezeichnung für den Unterrichtsgegenstand durch "Unterrichtssprache" ersetzt wurde (Erst durch das SchOG 1962 wurde diese Bezeichnung für alle österreichischen Schularten wieder auf "Deutsch" geändert. Sie blieb bis heute unverändert.)

Solche Beispiele zeigen das Fortschreiten der Geschichte Österreichs an. Und auch die anderen Länder, in welchen Deutsch Unterrichtssprache ist, hatten sprachlich relevante Änderungen zu verkraften: In der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurden sprachliche Neuschöpfungen propagandistisch eingesetzt. Diese staatlich gesteuerte Entwicklung bildete wiederum Forschungsinhalt für Linguisten in der BRD: Eine computergespeicherte Liste gab Auskunft über den tatsächlichen Sprachgebrauch in der BRD und DDR. Diese Forschungen entfallen seit 1989, wo das Gebiet der DDR als "neue Bundesländer" in die BRD aufgenommen wurde. Dem Vereinigungsprozeß selbst verdanken wir bereits eine Fülle von Wortschöpfungen ("der Ossi, -s", "die Seilschaft" in übertragener Bedeutung, "der Wendehals" etc.). Und auch der veränderte schulische Fremdsprachenkanon (d.h. die Zurückdrängung des Russischen zugunsten des Englischen) berührt die nationale Identität unserer Nachbarn.

Für die Schweiz sei nur kurz in Erinnerung gerufen, daß sie sich nicht als deutschsprachiges Land bezeichnet, sind doch auch das Französische, das Italienische und das Rätoromanische gleichrangige Sprachen - je nach der verfassungsmäßig einst getroffenen territorialen Zuordnung.

2. Die Kulturpolitik als Teil der Außenpolitik: Was der Staat ins Fenster stellt

Die Selbstdarstellung von Staaten, Nationen und Sprachgemeinschaften vollzieht sich auch in der Auslandskulturpolitik: Man denke an die Unterrichtsmittel, die an den höheren Schulen im Fremdsprachenunterricht Verwendung fanden und im Umkreis eines British Council oder eines Institut Français entstanden oder vielleicht von einem Amerikahaus ausgeliehen waren. Alle diese Einrichtungen leben von Steuergeldern anderer Staaten, die als Sponsoren ihrer Sprache und ihrer Kultur im Ausland auftreten. Denn je mehr eine Sprache im Ausland als Fremdsprache ins Schulwesen aufgenommen und je besser eine Kultur im Ausland bekannt wird, desto befruchtender ist dies für ökonomische Kontakte: Englischsprachige Länder profitierten von österreichischen Intellektuellen, die dorthin emigrierten; österreichischer Fremdenverkehr braucht die Image-Werbung im Ausland als Kultur-Nation; deutsche Firmen bevorzugen Gastarbeiter, die bereits Deutsch können.

In Österreich sind es verschiedene Ministerien, die diesbezüglich tätig sind: Das Bundeskanzleramt, die Bundesministerien für auswärtige Angelegenheiten, für Wissenschaft und Forschung und für Unterricht und Kunst.

Die gängigsten Maßnahmen sind gegenwärtig:

- Die Herstellung von Sprachkursen und Landeskundematerialien (Gilly, Hohl, Saxer; Zeit für Deutsch); - die Unterstützung von Kongressen; Dichterlesungen und Vortragsreisen im Ausland (Deutsch, Tagungsbericht); - die Entsendung und Betreuung von Lektoren; - die Führung von österreichischen Schulen und Kulturinstituten im Ausland; - die Koordination des Kulturaustausches (Orchesterreisen, Theater-Vorführungen im Ausland, Auftritte der Lipizzaner, etc.)

Andere Staaten haben ähnliche Anliegen eigens gegründeten Institutionen mit klingenden Namen übertragen: Die BRD gründete ein weltweites Netz von Goethe-Instituten; die DDR finanzierte das Herder-Institut an der Universität Leipzig, welches sich auf Sprachlehrforschung konzentrierte. Würde Österreich eine vergleichbare Initiative anbieten, wäre es dann ein Grillparzer- oder ein Musil-Institut, oder ein ...? Die wissenschaftliche Diskussion von Deutsch als Fremdsprache kann seit Einrichtung eines ersten Lehrstuhls in Wien 1993 verstärkt geführt werden, bislang aber noch ohne einen eigenen Studiengang.

Da sich mehrere Staaten die deutsche Sprache teilen, ergibt sich die Frage, welcher Verlag welches Staates jenes Wörterbuch herausgibt, das als das maßgebliche betrachtet wird. Eine Zeitlang existierten sogar zwei Duden, nämlich jener aus der BRD und jener aus der DDR. Diese Frage ist ja auch aus dem Englisch- Unterricht bekannt, wo auf verschiedenen Ebenen (Phonetik, Lexik, Syntax) zuweilen gefragt wird: "Is it bad English or is it good American?" Zur Rolle des Österreichischen Wörterbuchs in diesem Zusammenhang siehe unten!

Zeugnisse bestimmen unseren beruflichen Alltag. Und so ist es auch mit Sprachzeugnissen für Deutsch als Fremdsprache (DAF) bzw. als Zweitsprache (DAZ): Die beruflichen und Studienchancen von Ausländern hängen von ebensolchen Nachweisen ab. Daher wurde eine Hochschulsprachprüfung mit entsprechenden vorbereitenden Deutschkursen an den österreichischen Universitäten eingerichtet. Am freien Markt der Deutschkurse aber schlossen sich die Schweiz und Österreich bislang den Zertifikaten des deutschen Volkshochschulverbands und des Goethe-Instituts an. 1992 begann eine Diskussion darum, ob Österreich ein eigenes Deutsch- Zertifikat (mit eigenen Prüfungskommissionen etc.) entwickeln soll und was das Österreichische daran sein kann. (Österreichisches Grundstufenzertifikat, 1992)

Auswertungsanregung:

- Wie ist der Zusammenhang von Sprach- und Kulturförderung?

- Welche österreichischen Spezifika würden Sie "ins Fenster" stellen?

- Wo empfanden oder empfinden Sie Kulturimperialismus?

3. Der Wortschatz

3.1. Veränderungen in der Gegenwart

Die größte Herausforderung für die Sprachgemeinschaft der Deutschsprechenden war und ist seit 1945 aber zweifellos das Eindringen von Angloamerikanismen in das Deutsche, und zwar auch in der Alltagskommunikation, durch die Massenmedien und den Tourismus, aber auch durch die Fachsprachen von der Sportsprache über die Sprache einzelner Wissenschaften und Wirtschaftszweige bis hin zur Sprache im Bereich der Technik, etwa in der Computerverwendung. So sind z.B. die vielen angloamerikanischen Fachausdrücke im Fußball- und im Tennissport weithin sprachliches Allgemeingut geworden. Aber auch Bezeichnungen wie "Container", "Bluejeans" oder "Computer" und viele andere sind längst Bestand der Alltagssprache bis hinein ins kleinste Dorf geworden.

Dieser Integrationsprozeß einer Sprache in die andere verläuft im allgemeinen frei, ungesteuert. Daß er allerdings auch gelenkt werden kann, sei am Beispiel der französischen Computerbezeichnungen kurz gezeigt.

Wenn wir über die Grenzen blicken, finden wir z.B. folgenden französischen Wörterbuchausschnitt:

l'ordinateur le logiciel le programme l'écran le clavier la disquette

Die französische Sprachgemeinschaft hat offensichtlich eine andere Rezeption dieser Technologie, als wir es in der deutschen Sprache erleben. Ist dies nun auf die Tauglichkeit des vorhandenen Wortmaterials zurückzuführen oder auf staatliche Lenkung? Und welche Formen der Lenkung gibt es?

"computer" würde auf Französisch in der Klangnachbarschaft von "la putain" (die Hure) liegen. Hat die Sprachgemeinschaft selbst diese Assonanz vermeiden wollen? "logicien, logique" gab es schon vor Entstehen der EDV. Warum breitete sich "logiciel" aus als Sammelbegriff für Programme, anstelle von "software" (dt. "die Software")? "l'écran" und "screen" haben eine gemeinsame Sprachwurzel. Gibt es das deutsche Wort "der Screen" schon? Aus "la disque" (Scheibe, Schallplatte) ließ sich leicht die Verkleinerungsform "la disquette" ableiten. Was hinderte uns, im Deutschen "Scheibe, Plättchen" für den Datenträger zu verwenden? Eine Antwort auf diese Fragen kann nicht losgelöst vom nationalen Identitätsgefühl einerseits und von staatlicher Sprachlenkung andererseits gegeben werden.

Bei einem Vergleich der französischen und deutschen Sprachentwicklung darf aber der grundlegende Unterschied nicht übersehen werden, daß eine Académie Française den gesetzlichen Auftrag hat, durch die Herausgabe von Wortlisten Vorschriften zu machen, welche Wörter statt "das Know-how" oder "die Software" (ÖWB) im Französischen zu verwenden sind. Hierin manifestiert sich ein zentralistischer staatlicher Eingriff, der aber im Spannungsfeld der Marktwirtschaft liegt. Manche machen sich über diese Bevormundung (bzw. Vorschriften) lustig und fordern eine Gesetzesnovelle zur Liberalisierung der Sprachentwicklung. Manche wiederum setzen sich über den "Dictionnaire de l'Académie" einfach hinweg, ohne Sanktionen zu gewärtigen.

3.2. Das Österreichische Wörterbuch

Das Österreichische Wörterbuch hat fast den Charakter einer amtlichen Anweisung, wenn man in Betracht zieht, daß - es "im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst" herausgegeben wird, - seit der ersten Auflage 1951 in jeder der bisher erschienenen 37 Auflagen im Vorwort die Feststellung steht, daß dieses Wörterbuch "die Grundlage der Rechtschreibung in den Schulen und Ämtern Österreichs zu sein" hat, - es durch Bescheid des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst approbiert und "als für den Unterrichtsgebrauch in Hauptschulen und allgemeinbildenden höheren Schulen im Unterrichtsgegenstand Deutsch geeignet erklärt" wird und schließlich - im Lehrplan der Hauptschule und der allgemeinbildenden höheren Schulen der "Gebrauch des Österreichischen Wörterbuchs" vorgeschrieben ist.

Wie entwickelten sich die Verbreitung und der Gebrauch des Buches? Während man bei der ersten Auflage im Dezember 1951 in Verlags- und Herausgeberkreisen noch der Meinung war, dieses Werk würde ein arger Flop werden, waren bis November 1969 bereits eine Million und bis Ende 1992 rund drei Millionen Exemplare ausgeliefert. Es war, wie es die Verfasser im Vorwort zur ??? Auflage wünschen, "ein Behelf zu selbständiger Arbeit für Schüler, ... ein Volks- und Hausbuch, ..., aber auch ein vielseitiges Nachschlagwerk für Ämter und Büros" geworden. Angesichts der hohen Auflagenzahl und der Tatsache, daß aufgrund der Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes vom 24. Oktober 1967 seit dem Schuljahr 1968/69 alle Elfjährigen das Buch als Gratisschulbuch erhielten, dürfte man wohl von einer Vollversorgung der österreichischen Bevölkerung sprechen können.

Und wie offiziell ist eigentlich das Konkurrenzprodukt auf dem ungleich größeren deutschen Markt? Der in Deutschland erscheinende Duden trägt nicht den Vermerk, im Auftrag eines Ministeriums herausgegeben zu sein, wie das ÖWB. Das Bibliographische Institut Mannheim (im Volksmund "Duden-Verlag") befindet sich zwar in räumlicher Nähe des "Instituts für deutsche Sprache" (IDS, Mannheim), ist aber institutionell völlig unabhängig von staatlichen Stellen. Weder die Schweiz noch Deutschland haben einen Verlag mit der Herausgabe eines offiziell gültigen Wörterbuchs betraut. Somit besteht grundsätzlich kein vergleichbarer staatlicher Eingriff, und die Forschungen des IDS (einer Stiftung bürgerlichen Rechts, die weitestgehend öffentlich finanziert ist) werden allgemein zugänglich gemacht. Österreich und die Schweiz finanzierten die Forschungen dieses Instituts kaum mit. Denken wir kurz über die Lage der kleinen Länder nach und nützen wir hierzu ein Beispiel aus der literarischen Welt: Als Peter Handke bereits einer der bekannteren Dichter war, wurde er von einem Journalisten gefragt, ob seine Austriazismen nicht oft das Textverständnis in Deutschland erschwerten, z.B. die Verwendung des Wortes "Abwaschfetzen". Man könne doch auch "Lappen" oder "Spüllappen" sagen. Worauf die Antwort erfolgt sein soll, daß es eben ein Abwaschfetzen gewesen sei... Die größere Marktchance würde ihn also seine subjektive Genauigkeit kosten, und ebenso verhält sich dies mit der österreichischen Sprachgemeinschaft insgesamt, auch wenn nicht alle Dichter sind. Unter dem Titel "Wie sagt man in Österreich?" erschien als Duden - Taschenbuch ein Wörterbuch der österreichischen Besonderheiten.

Daß das ÖWB im Auftrag eines Bundesministeriums erscheint, kann als Bindung an die Staatgewalt empfunden werden und könnte sogar Gegenkräfte hervorrufen. Verbreitung findet das ÖWB hauptsächlich durch die jährliche Gratisschulbuchaktion aus den Mitteln des Familienlastenausgleichsfonds. Man wird besser sagen, daß Österreich, was die Wortschatzarbeit (Lexikologie) betrifft, einen gewissen Willen zu Unabhängigkeit zeigt und weniger den staatlichen Eingriff (nach französischem Muster) anpeilt. Dieser Unabhängigkeitswille war schon vor dem Staatsvertrag 1955 entstanden und ist charakteristisch für die Jahre unmittelbar nach 1945. In den damaligen Parlamentsdebatten ging es um die Frage der Einheit der deutschen Sprache, um die Gefahr, sich in separatistischer Eigenbrötelei lächerlich zu machen, und um den Stolz auf eine (österreichische) Variante des Deutschen, die ja nie in die binnendeutschen Wörterbücher aufgenommen würde.

In der Tat gab und gibt es keine Kommissionen, in denen Deutschland, die Schweiz (bzw. deren deutschsprachiger Bevölkerungsteil) und Österreich den Wortschatz abstimmen.

Die Normierung der Schreibung ist Thema zwischenstaatlicher Rechtschreibkommissionen (Deutschland, Schweiz, Österreich). Es ist abzusehen, daß in Bälde Getrennt- oder Zusammenschreibung, Groß- oder Kleinschreibung von Verbzusätzen und Trennung am Zeilenende liberalisiert werden, nicht aber eine generelle Kleinschreibung der Nomen. Und es gibt auch keine zwischenstaatlichen Konflikte, seitdem die Schweiz das scharfe "ß" durch "ss" ersetzte.

Arbeitsanregung:

- Welche Erfahrungen haben Sie mit dem ÖWB und mit anderen Wörterbüchern gemacht?

- Glauben Sie, daß wegen des ÖWB vermindert Austriazismen in den anderen deutschsprachigen Wörterbüchern erscheinen?

- Welche Probleme kennen Sie mit Übersetzungswörterbüchern, z.B. Englisch-Deutsch, Deutsch-Englisch bezüglich der amerikanischen Variante?

- Überprüfen Sie, welche Nachschlagewerke für Ihren Dialekt oder Regiolekt in der Bibliothek stehen. Würden Sie diese Wörterbücher auch als relevant für interkulturelles Lernen ansehen?

3.3. Die sprachpolitische Macht neuer Technologien - kein interkulturelles Thema?

"Edit - Datei - Block - Layout - Schriften - Fenster - Weiteres" lese ich in der Menüzeile des Textverarbeitungsprogramms TEXTMAKER. Das scheint noch leicht verständlich. Eine Ebene darunter, in MS-DOS, geht es bereits ausschließlich englisch zu, wie jeder weiß, von APPEND über KEYBOARD bis XCOPY. Dieser Sprachkulturwandel ist heute kein Diskussionsthema, was aber nicht immer so war. AEG-Telefunken hatte Anfang der siebziger Jahre eine Assembler-Sprache auf deutscher Basis entwickelt. Nur durch die wirtschaftliche Schlagkraft der IBM-Umgebung ist das Englische siegreich geblieben, was erhebliche Folgen für das Sprachprestige hat, aber auch auf die englische Sprache zurückwirkt.

Wenn ein Unterrichtsministerium bei Schulausstattungen für MS-DOS (IBM-kompatibel) statt für APPLE entscheidet, hat dies weitreichende Konsequenzen für unsere Sprache, denn sie wird auf diese Weise erweitert durch Rumpf-Englisch (APPEND, QUITT, ...) und Akronyme (wie IBM=International Buro Machines, MS- DOS=Microsoft-Digital Operating System) sowie Verbindungen (FORTRAN= formula translation). Solche Fügungen sind Teile der internationalen Lingua franca unserer Zeit geworden, nicht anders als die Abkürzungen ORF, ZDF oder SAT 1 in der Medienkultur. Wie sie ins Vokabular der Deutschen Sprache aufgenommen werden und in Wörterbüchern erscheinen - das wird ein interessanter, eminent interkultureller Vorgang! Übersetzungs- bzw. Deklinationsversuche von Disc-Jockey, Know-how, Feed-back, Talk-show, Insider würden langen Diskussionsstoff ergeben. Dies kann noch mit der Diskussion des Suffixes -in für weibliche Personen verbunden werden: "Wieviele ShowmasterInnen gibt es im ORF?"

3.4. "Sprechen Sie Thesaurus?"

Ob Programmiersprachen nun als Kunstsprachen, Fachsprachen oder formale Sprachen zu bezeichnen sind, mag den Benutzer der Computer-Oberfläche recht unberührt lassen, vor allem wenn die Symbolwelt und Pictogramme dominieren. Sobald aber in der Textverarbeitung bzw. in der computerunterstützten Übersetzung mit Datenbanken im Hintergrund gearbeitet wird, erscheinen dieselben Fragen wie beim Österreichischen Wörterbuch: Welche Chancen zur Aufnahme haben dann Varianten des Deutschen? Mag dies bei der Rechtschreibkorrektur von nachrangiger Bedeutung sein ("sodaß" oder "so daß"), so wird es auf stilistischer Ebene im Deutschen ("Rechen" oder "Harke", "Aprikose" oder "Marille" ?), vor allem bei der Übersetzung eine Entscheidung über Sein oder Nichtsein der Vielfalt. Werden dann Staaten, wie z.B. Österreich, als Sponsoren für erweiterte Thesauren (im Sinne einer großen Sammlung von Wörtern eines bestimmten Fachbereichs) einspringen, sodaß "Germ" nicht "Hefe" zum Opfer fällt?

Alle diese Entscheidungen können Inhalte staatlicher Einflußnahme werden, auch wenn wir heute noch finden mögen, dies sei an den Haaren herbeigezogen. Wer hätte vor wenigen Jahrzehnten für möglich gehalten, wie sehr sich durch Radio und Fernsehen unsere Sprechweise ändern würde, ohne daß dies Thema einer umfassenden interkulturellen Diskussion geworden wäre: "O.k.?"

Auswertungsanregung:

- Welche Gefühle haben Sie spontan, wenn Sie andere Dialekte hören. Machen Sie sich eine Skala dafür!

- Erkunden Sie das Wörterbuch Ihrer Computer-Textverarbeitung nach österreichischen Wörtern, z.B. "Fisolen", "Bohnschoten"!

- Überlegen Sie sich deutsche Wörter für Computerbefehle und überprüfen Sie die emotionale Wirkung!

4. Wie Staaten mit Sprachen Schule machen

Die internationale Entwicklung zeigte in den letzten Jahrzehnten einen Machtzuwachs des Staates gegenüber privaten Bildungseinrichtungen. Gleichzeitig wurden vielfältige Bemühungen unternommen, um "Bildungsreserven auszuschöpfen" bzw. "einen gleichberechtigten Zugang zur höheren Bildung für alle" zu eröffnen - wie die Hauptargumente lauteten. Dies gelang in Österreich durch zahlreiche Schulgründungen und durch eine - im internationalen Vergleich - gute Ausstattung des Unterrichtsbudgets.

In der Stundenausstattung einzelner Fächer spiegelt sich die Bedeutung auch der sprachlichen Bildung. Allerdings sind dabei Unterschiede zu sehen, je nachdem, ob es sich um Fremdsprachen, Sprachen der Volksgruppen, Herkunftssprachen der Immigranten oder Deutsch als Zweitsprache handelt.

Die Schulversuche und die darauffolgenden Gesetze der letzten Dezennien waren auf eine Ausweitung der Fremdsprache Englisch konzentriert: In der Hauptschule gibt es keinen B-Zug ohne Pflichtfach Englisch mehr, sondern alle SchülerInnen besuchen eine Leistungsgruppe mit 18 Wochenstunden von Schulstufe 5 bis 8. Der Polytechnische Lehrgang folgte, und bald auch die Berufsschule mit Englisch als Pflichtgegenstand. Und in der Volksschule vollzog Österreich einen europaweit vergleichweise frühen Schritt, indem die fremdsprachige Vorschulung ab der dritten Klasse Volksschule eingeführt wurde. Noch im Schulversuch, aber doch richtungsweisend ist die Möglichkeit, sogar Pflichtgegenstände höherer Schulen in einer Fremdsprache zu erteilen; Italienisch und Französisch in Hauptschulen als zweite Fremdsprachen einzuführen; Englisch in erweitertem Ausmaß in Volksschulen anzubieten. Kein Zweifel, daß dies vergleichsweise weit darüber hinausgeht, was für die Sprachen der autochthonen Minderheiten (slowenische, kroatische und ungarische Volksgruppen) eingeräumt wurde. (Siehe Kapitel Ogris, Schelakowski!)

Seit der Öffnung der Grenzen fällt auch besonders auf, daß österreichweit folgende Nachbarsprachen selbst als zweite Fremdsprachen bzw. Freigegenstände im Schulwesen nur geringe Bedeutung haben: Tschechisch, Slowakisch, Ungarisch, Kroatisch, Slowenisch. Dies gilt auch für den ORF: Die elektronischen Massenmedien befinden sich in Österreich unter der Kontrolle der wesentlichen gesellschaftlichen Kräfte. Es wurden zwar neue Kursangebote für Nachbarsprachen eingerichtet, eine ganz neue Kategorie aber entstand sprachpolitisch nur für das Englische im Rahmen der österreichweiten Ausdehnung von Blue Danube Radio als zusätzliches Hörfunk-Programm. Dort kommt das Deutsche nur mehr als Nachrichtensprache vor, Nachrichten und Kommentare ertönen schon in Englisch. Für das Französische gibt es fünf Nachrichten täglich und 30 Minuten Sprechprogramm. Andere Sprachen (Spanisch, Italienisch, etc.) erhalten lediglich Sendungsreihen gemäß Schwerpunkten. Das Fernsehen räumt der slowenischen und kroatischen Volksgruppe dreißig Minuten wöchentliche Sendezeit ein (außerhalb Kärntens und des Burgendlands wird "HEIMAT, FREMDE HEIMAT" ausgestrahlt - ein multikulturelles Magazin).

Wie der Gesetzgeber, dem durch die Bundesverfassung eine Zweidrittelmehrheit auf der Ebene der Schulorganisation vorgeschrieben ist, künftig handeln wird, mag sehr von internationalen Entwicklungen abhängen. Folgende Umstände werden diese Entscheidungen beeinflussen:

- In Österreich zeigte sich 1972 (Ortstafelstreit in Kärnten mit Gewaltanwendung) und in der darauffolgenden Diskussion um die Gesetzesnovelle für das zweisprachige Schulwesen in Kärnten eine bemerkenswerte Emotionalisierung. Wir sind kaum berechtigt, allzu selbstbewußt auf Nationalitäten- und Sprachenkonflikte im Ausland herabzublicken.

- Die Neuordnung Europas wird zu starker Binnenwanderung führen, was unvorhersehbare Anforderungen an das Bildungswesen bedeutet.

- Die Bildmedien werden verstärkt Simultanübersetzungen (auf einem zweiten Hörkanal) und Untertitel (in verschiedenen Sprachen) anbieten, sodaß sprachliche Vielfalt zunimmt.

- Aus anderen Staaten können bislang keine Standard-Lösungen für Bildungswege der Volksgruppen und Immigranten übernommen werden. Die Skala reicht von sehr weitgehenden Rechten wie in Schweden, wo der Muttersprachenunterricht für Migrantenkinder verfassungsmäßig verankert ist, über föderalistische Freigabe des Themas wie in Deutschland, wo auf Länderebene zu entscheiden ist und der muttersprachliche Unterricht äußerst uneinheitlich wurde (mit entsprechenden Folgen für die Zeugnisanrechnung) bis zur Verleugnung bestehender Volksgruppen wie den Kurden in der Türkei.

- Von der Ebene internationalen Rechts (UN, Europarat, EG bzw. EWR) können zur Zeit keine klaren Rechtsansprüche für die sprachliche Bildungspolitik abgeleitet werden. (Siehe Abschnitt "Sprachpolitische Maßnahmen auf übernationaler Ebene"!)

Auswertungsanregung:

- Sammeln Sie Informationen über das zweisprachige Schulwesen in Kärnten, über die internationalen Schulen und über die österreichischen Auslandsschulen!

- Auf Produkten für den EG-Raum findet sich Vielsprachigkeit. Warum wird sie eher akzeptiert?

- Halten Sie es für möglich, daß Religionskonflikte in Europa mit Sprachkonflikten verbunden werden? (Siehe anschließendes Spiegel-Textbeispiel!)

Textbeispiel zur Verbindung von Sprache und Politik in Indien, wo es fünfzehn offizielle Sprachen gibt (mit Hindi als Staatssprache und Englisch als Lingua franca, hier über die Stadt Bombay):

"Die Verständigungsprobleme fangen an den Litfaßsäulen an. Am Taxenausgang des Viktoria-Bahnhofs im Zentrum der Stadt hängt ein dreisprachiges Plakat mit der berühmten Versöhnungsthese Mahatma Gandhis: 'Der Allah des Islam ist eins mit dem Gott der Christen und dem Ishwar der Hindus.' Auf Englisch, auf Hindi und auf Marathi, der Sprache des Bundesstaates Maharaschtra. Nur nicht auf Urdu. Denn Urdu, die Sprache der Moslems, ist hier keine Amtssprache." (Der Spiegel 7 (1993), S.170)

Literatur

Blei, D.: Ein Deutschland - eine deutsche Sprache? ein Beitrag zu den sprachlichen Anpassungsleistungen der Ostdeutschen. In: ÖDaF- Mitteilungen 1(1993), S.20-26.

Bürkle, M.: Sprechen Sie Österreichisch? Österreichisches Deutsch aus phonetischer Sicht.In: ÖDaF- Mitteilungen 1(1993), S.9-19.

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Deutsch als Zweitsprache (Themenheft). Informationen zur Deutschdidaktik. Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule. 4 (1992).

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Gilly, Dagmar; Schmölzer-Eibinger, Sabine: Jungsein in Österreich. Jugend und Volk Verlag, Wien 1991.

Hohl, Manfred; Müller, Josef; Penz, Hermine Reisinger, Klaus; Rosmann, Waltraud; Sornig, Karl; Stangl, A.: ÖSTERREICH - BetrACHTUNGen. Materialien zur österreichischen Landeskunde für den Unterricht aus DAF, Band 1. Jugend und Volk Verlag, Wien 1991.

Kooperationen. Zusammenarbeit Österreichs mit den Ländern Zentral- und Osteuropas. BMUK, Wien 1992.

Kroon, Sjaak: Opportunities and Constraints of Community Language Teaching. Münster, New York 1990.

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Reiterer, Albert F.: Doktor und Bauer. ... Die Sozialstruktur der slowenischen Minderheit in Kärnten. Klagenfurt 1986.

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Saxer, Robert; Kuri, Sonja; Jeran, Eva: Sprache der Medien: Werbung und Wirklichkeit. Wir lesen eine Zeitung. Das Bild der Medien in der Literatur. Jugend und Volk Verlag, Wien 1991.

Skourtou, Eleni: Streitpunkte des Konzepts der bilingualen Erziehung im Rahmen einer Spracherhaltungsproblematik. Frankfurt/Main 1986.

Tagungsbericht der IX. Internationalen Deutschlehrertagung, Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Wien 1990. Minoritenplatz 5

Viele Leute reden nicht nur Deutsch bei uns! Ein Kurzsprachkurs für junge Leute. Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Wien, 1992.

Wege zu Minderheiten in Österreich. Ein Handbuch. Hg. v. Initiative Minderheitenjahr. Verlag Der Apfel, ISBN 3-85450-069- 6, Wien 1993.

Ebner, Jakob: Wie sagt man in Österreich? Wörterbuch der österreichischen Besonderheiten. Mannheim, 1980.

Zeit für Deutsch. Band 1 bis 3. Hrsg. von Doyuran B., Kuri S., Saxer R., Saxer H. Klagenfurt, Exkisehir 1989 bis 1991. (Ein Fernseh-Sprachkurs als Ergebnis österreichisch-türkischer Kooperation.)